Die Geschichte des Ortes Hürtgen
Ein Interview mit Wolfgang Baumgarten
Herr Wolfgang Baumgarten hat für Vossenack – wie die Dürener Zeitung vor einigen Monaten berichtete, „Ein Stück Geschichte entdeckt." Mit seinem sensationellen Fund eines bestens erhaltenen Steinbeils lässt er die Jungsteinzeit vor ca 4000 Jahren lebendig werden.
1990 vertrat Herr Baumgarten in seiner veröffentlichten Abhandlung die These, dass während des Mittelalters in der Nähe Hürtgens eine Burg stand.
Rainer Valder, Vorsitzender des Geschichtsvereins Hürtgenwald e.V., wollte nun im Rahmen eines Interviews von ihm wissen, inwieweit er auch heute noch dieser Meinung sei und ob er darüber hinaus von weiteren historischen Erkenntnissen berichten könne. 1)
Valder: Geben Sie mir recht, solch kühne Behauptungen setzen bekanntlich Belege oder entsprechende Funde voraus?
Baumgarten: Ich stimme Ihnen nur eingeschränkt zu. Erlauben sie mir einige Vorbemerkungen.
In den letzten Jahrzehnten haben in der Archäologie einige wissenschaft-liche Disziplinen, wie Etymologie (Sprachkunde), geophysische Luftauf-nahmen, Topografie (Landesbeschreibung) insbesondere die Flurnamen-forschung enorm an Bedeutung gewonnen. 2)
Valder: Soll das heißen, Sie können jetzt durch Luftaufnahmen Näheres z.B. zum Alter des Dorfes sagen.
Baumgarten: Nicht mittels Luftaufnahmen; hinsichtlich Flurnamenfor-schung in Verbindung mit Hinweisen, Indizien aus anderen Wissen-schaften, denke ich schon.
Valder: Ich werde an Strafurteile aufgrund von Indizienbeweise erinnert.
Baumgarten: Ganz recht! Warum soll dies nach unserem Strafrecht möglich sein, aber wichtige, begründete Hinweise in der Archäologie keine tragfähigen Erkenntnisse rechtfertigen?
Nun zu Ihrer interessanten Frage der Altersbestimmung. Zwei Ansichten wurden bereits zu diesem Thema geäußert.
Lange Zeit glaubte man, einst habe hier eine Jagdhütte Karls des Großen gestanden. Vielleicht hatte das Wort Jagd „Hütte“ (Hürtgen) zu dieser Legendenbildung beigetragen. Ähnlich verhält es sich mit einer These, veröffentlicht in den Dürener Geschichtsblättern, unser Ortsname leite sich von „Eisenverhüttung“ ab. 3)
Valder: Was haben diese Untersuchungen mit dem Alter des Dorfes zu tun?
Baumgarten: Eine Menge! Hätte man Belege zur – salopp gesagt – Kaiser Karls Sage, dann wäre eine Zeitbestimmung um 800 vertretbar, würde sich der Name ableiten von „Hütte“ in Beziehung zur Eisenverhüttung, so bedeutet dies, dass es vor der Römerzeit in Hürtgen noch keine Siedlung gab.; denn den Römern verdanken wir frühestens – jedenfalls für die Eifel – die ersten Kenntnisse und Fertigkeiten der Eisengewinnung. 4)
1) Dieses Interview wurde später mit weiteren schriftlichen Erklärungen und Fussnoten ergänzt.
2) J. Schnetz, "Flurnamenforschung", München 1997, S. 8; 65
3) Das röm. Eisengewerbe in der Gemeinde Hürtgenwald, S. 70,
Dürener Geschichtsblätter, Nr. 76, 1987
Valder: Gab es denn auch in Hürtgen ein Eisengewerbe?
Baumgarten: Das möchte ich annehmen. Neben einigen Funden zeugt der Flurname „Kolljass" am Hürtgenbach für diese Vermutung. Dort gab es in der Tat Meilerplätze, wo noch im Mittelalter die notwendige Holzkohle gewonnen wurde. Was nun den Namen Hürtgen in Beziehung zur „Eisenhütte" betrifft, so beruft sich der Autor des erwähnten Artikels auf eine Rentmeisterrechnung des Herzogtums Jülich aus dem Jahre 1398, in der ein großer Transport –insgesamt 16 mit Eisen beladene Wagen –, „van hucken tot birkisdorp" in Rechnung gestellt wurde.
In der entsprechenden Fußnote wird dieser Text mit dem Hinweis korrigiert, der Rentmeister habe sich offensichtlich verschrieben, es müsse wohl richtig heissen „van hutken tot birkisdorp" 5)
Valder: Immerhin ein interessanter Beleg!
Baumgarten: Vielleicht interessant, aber nicht überzeugend!
Ungeachtet der etwas seltsamen Korrektur in einer Fußnote habe ich diesen Beleg mit Vorbehalt zur Kenntnis genommen.
Gilt nun der Originalname oder der in der Fußnote?
Gibt es überhaupt einen berechtigten Hinweis für die Behauptung, der Eisentransport wäre von Hürtgen aus erfolgt?
Könnte es sich nicht auch um eine ähnlich klingende Gemarkung nahe Vicht oder Schevenhütte (aufschlussreicher Name) gehandelt haben?
Fest steht, Herzog Wilhelm von Jülich hatte selbst in Vicht einen sogenannten Eisenhammer 6). Man darf annehmen, dass auch schon vorherige Generationen seines Adelsgeschlechts Besitzer dieser Eisen-verhüttung waren.
Im übrigen bezeugen unzählige Funde, dass in der Eschweiler, Vichter Gegend bereits zur Römerzeit reichlich Eisen gewonnen wurde. Kein Wunder, die großen Erzvorkommen dort bescherten bekanntlich dieser Region bis in die Neuzeit beachtlichen Reichtum.
Es liegt auf der Hand, in diesem Gebiet war eine Verhüttung wesentlich kostengünstiger, als in unseren Höhendörfern.
Die Vermutung, dass mit "hucken" eine Gemarkung nahe Vicht oder Schevenhütte gemeint war, liegt sehr nahe; zumal diese Dörfer fast gleich weit von Birkesdorf entfernt sind.
4) Bei Eschweiler will man schon an einer Stelle auf Funde aus der Zeit von v. Chr. gestossen sein. Wikipedia: Vicht
5) "Das römische Eisengewerbe in der Gemeinde Hürtgenwald“, Dürener Geschichtsblätter Nr. 76, s. 70, 1987
6 ) Wikipedia: Vicht
Valder: Wollen Sie denn den Namen „hutken“ sowie den infrage stehenden Transport von hier ganz ausschließen?
Baumgarten: Nun, sie kennen meine Vorbehalte.
Einmal unterstellt, es gab diesen großen Eisentransport vom damaligen Hürtgen, so bedeutet dies noch nicht, dass sich der Ortsname „Hürtgen" von „Eisenhütte“ ableitet.
Kurz gesagt, nach meiner Überzeugung wurzelt die Bezeichnung Hürtgen – leicht erkennbar – in dem althochdeutschen Wort „huoten" übersetzt: hüten, behüten, bewachen. 7)
In der Flurnamenforschung gilt der Grundsatz, Bezeichnungen für Gemarkungen sind ursprünglich immer in einem konkreten Zusammen-hang entstanden und hatten eine spezifische Bedeutung.
Sie bildeten sich also nicht zufällig oder gar per Gesetz. In der Regel waren es wichtige Begebenheiten, landwirtschaftliche Gegebenheiten oder häufiger noch über längere Zeit versehene Tätigkeiten.
Nach dieser Erkenntnis kann man davon ausgehen, dass zur Zeit der Antike die Viehwirtschaft in der ursprünglichen Gemarkung „Huoten“ eine grosse Rolle spielte, vielleicht die einzige. 8)
Valder: Das verstehe ich nicht; im 6. oder 9. Jahrhundert gab es doch auch Viehwirtschaft?
Baumgarten: Ich stimme ihrem Einwand zu, wenn Sie den Namen als einzigen Beleg für den weit gespannten Zeitbogen zugrunde legen.
Ich werde meine These mit weiteren Indizien, z. T. mit Fakten erhärten.
Eine beachtliche Anzahl archäologischer Funde – so auch mein gefundenes Steinbeil – bezeugen, dass schon zur Jungsteinzeit, also vor ca 5000 Jahren in unserer Region Menschen lebten. Über ca. 400 Jahre v. Chr. waren die Eburonen hier ansässig. 9)
Die landschaftliche Struktur unseres Ortes dürfte sich über Jahrtausende hinweg kaum verändert haben. Das heißt, es gab damals bereits die beiden Teiche, den sogenannten Lehmpool und den Pool. Sie wurden erst vor etwa 70 Jahren zugeschüttet. Beide Poole waren ca. 250 m voneinander ent-fernt. Nach Erkenntnissen der Heimatforschung kreuzten zwei Verkehrsver-bindungen die frühe Gemarkung unserer Altvorderen. Sie verliefen von Breisig über Zülpich, Brandenberg, Vicht sowie von Düren nach Konzen. Die "Kreuzung" bildeten zwei Verkehrsdreiecke, heute noch erkennbar in den scharfen Abzweigungen der Brandenbergerstrasse in die Höhenstraße sowie von der Höhenstrasse in die Schevenhüttenstrasse .
7) R. Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch, 1995 S. 172
8) Wikipedia: Tacitus, Röm. Historiker „Das Land der Germanen"
9) Sonderausstellung „Eburonen", 2012, Ahrweiler
Diese Kartografie lässt unschwer eine heimatgeschichtlich interessante Besonderheit erkennen. Beide Dreiecke grenzten direkt an die Poole.
Ich meine, das kann sich nicht zufällig ergeben haben.
Mangels konkreter Belege können wir heute nur noch mit unserem gesunden Menschenverstand versuchen, ursächliche Zusammenhänge aufzudecken.
Die Existenzgrundlage unserer Urahnen waren zweifelsfrei die Jagd und insbesondere Kühe, Schafe und Ziegen.
Dies wiederum bedeutete, beide Poole hatten einst als Viehtränken einen unschätzbaren Wert. Die Zug- und Reitpferde auf der ehemaligen Höhen-strasse dürften ebenfalls gerne an den Wasserstellen ihren Durst gestillt haben.
Wahrscheinlich wurde dort auch schon auf ausgetretenen Pfaden oder festeren Wegen das Vieh in die sogenannten Hutwälder getrieben, wo man sie huotete.
Nach meiner Überzeugung entwickelten sich diese Lebensumstände spä-testens zur Zeit der Eburonen, also lange v. Chr.. Das belegt u. a. eine für damalige Verhältnisse grosse Eburonen Siedlung nahe Winden. 9) Wenn einst Nachbarorte besiedelt waren, so bedeutet das, in unserer verkehrs-mäßig stark eingebundenen Gemarkung Huoten lebten ebenfalls zu dieser Zeit Menschen. Ob es einst nur wenige oder viele Siedler waren, kann natürlich heute nicht mehr beantwortet werden. Mit dieser Erkenntnis lässt sich jetzt auch datieren, um welche Zeit der Ortsname Huoten aufkam, nämlich spätestens zur Eburonen Zeit.
Menschen und Orte hatten von Alters her stets einen Namen. Dies war zu ihrer Orientierung und Kommunikation lebensnotwendig.
Nach dem Geschichtsforscher Klein sind Ortsnamen in Stein gemeißelt, mehr noch, sie sind das Grundbuch des Bodens. 10)
Sie bleiben zumindest im Wortstamm zukünftig unverändert, so wie „Huoten" in „Hürtgen" !
Valder: Sehr interessant! Nun zu Ihrer Burgentheorie. Glauben Sie immer noch, auf der Gemarkung Mottescheid habe einst eine Burg gestanden?
Baumgarten: Mehr denn je!
Ich hatte, wie Sie schon sagten, 1990 in meiner veröffentlichten Untersuchung diese Ansicht vertreten. Der entsprechende Weg dorthin trägt seitdem den Namen „Burgenweg.“
Sie werden verstehen, dass ich mich jetzt etwas kürzer fasse.
„Motte“ war seit dem Mittelalter die offizielle Bezeichnung für eine kleine, aus Holz errichteten Burg. So wurden sie hier und international von Historikern und Adligen bereits im 12. Jahrhundert genannt. (Belgien, Frankreich, Eng-land).
09) Miriam Blümel „ Die Eburonen", Magisterarbeit, Uni Bonn
10) Klein, 11 Jahrhunderte Ahrweiler , 1995 , S. 26
Man ist bisher landesweit kaum auf entsprechende Mauerreste gestoßen. Motten waren eben keine aus dicken Mauern erbaute Festungen.
Lediglich in Lürken b. Eschweiler 11) ... ) und bei Horrem 12) konnte man entsprechende Funde archäologisch verwerten. Der bekannte Dürener Heimatforscher Gerhards war sich ziemlich sicher, in Pier einer ehemaligen Motte auf der Spur zu sein. Auf Grund der spärlichen Quellenlage stellte er kurzfristig seine Forschungen ein.
Gerhards war im übrigen der Auffassung, im Kreis Düren habe es seinerzeit viele Motten gegeben. 13)
Für Hürtgen haben wir hingegen nach meiner Meinung einen tragfähigen Beleg.
Es ist wieder ein Name, nämlich das Wort „Mottescheid". Dieser außergewöhnliche Flurname dürfte in näherer und weiterer Umgebung kaum vorkommen.
Mit der Bezeichnung „Motte" nannte man im Volksmund früher wie heute nur ein bestimmtes lästiges Insekt.
Das Zweitwort „scheid" in „Mottescheid“ liefert uns zusätzlich ein auf-schlussreiches Indiz. Bekanntlich bedeutet Scheidung, scheiden etc. Trennung.
Typisch sind die Bezeichnungen Höhen- und Wasserscheide. Beide topografischen Begriffe entfallen für die flache Mottescheider Landschaft. Mit „Trennung" kann hier nur eine Wegetrennung, eine Gabelung gemeint sein. Allem Anschein nach führte auf der schon erwähnten wichtigen Ver-bindungsroute nach Aachen ein Weg ab vielleicht nach Schevenhütte oder Konzen.
Motten waren strategisch gesehen von geringer Bedeutung. Sie hatten vornehmlich Kontroll- und Überwachungsfunktionen. Insofern lokalisierte man sie in der Regel an Verkehrsschnittpunkte.
Valder: Ihre bisherigen Untersuchungen betreffen Jahrhunderte v. Chr. und das Mittelalter. Könnten Sie auch noch einiges aus der jüngeren Vergangenheit berichten?
Baumgarten: Es wird sie überraschen, ja, und zwar wieder vom Motte-scheid.
Alle Hürtgener kannten die sogenannte Napoleonseiche. Es war eine alte, knorrige Eiche, die auf dem Mottescheid stand. Leider fiel sie den Kriegswirren zum Opfer. 14)
Auch in diesem Falle bezeugt der Name Alter und „Herkunft" Weshalb, so stellt sich die Frage auch in diesem Zusammenhang, nannte man über viele Generationen hinweg eine allein stehende stattliche Eiche nach dem ehemaligen französischen Kaiser? Sicherlich nicht ihm zu Ehren!
11) Bernd Steinbring, die Motte b. Lürken, Magisterarbeit 1996, Uni Bonn
12) B. Päffgen, „Die Horremer Motte", Kerpener Heimatblätter 1980,
Heft 1
13) J. Gerhards, Bonner Jahrbuch, 1949 ,S. 377
14) Die Gemeinde Hürtgen pflanzte auf gleicher Parzelle wieder
eine Eiche
Die französischen Machthaber verlangten Anfang des 19. Jahrhunderts im besetzten Rheinland von der Bevölkerung ein äußerliches Bekenntnis zu ihrem Staat. Solche feierlichen Staatsakte fanden an sogenannten Freiheitsbäumen statt, deren Standorte angeordnet waren. 15) Unsere im Volksmund genannte Napoleonseiche war also ca. 200 Jahre alt.
Aber damit noch nicht genug der heimatgeschichtlichen Bedeutung des Mottescheids. Wie ich eben schon sagte, hatte diese Gemarkung im Mittelalter keine strategische Funktion. Das änderte sich schlagartig spätestens im November 1944. Auf dieser Parzelle war nämlich inmitten der fürchterlichen Schlacht im Hürtgenwald der Regimentsstab stationiert. Von dort aus wurden die Kompaniechefs per Kradmelder – wörtlich – zur Napoleonseiche beordert. 16)
Abschliessend sollte ich noch einen Hinweis anmerken. Hürtgen wurde zweimal durch schreckliche Ereignisse weltbekannt: 1903 brannte das ganze Dorf ab und Ende des letzten Weltkrieges geschah seine totale Zerstörung.
Hürtgen, das ehemalige Hupten, ist wahrlich ein geschichts-trächtiger Ort!
Valder: Vielen Dank für dieses interessante und aufschlussreiche Gespräch!
15) Rheinische Geschichte 2, 1976, S. 330
16) bing Napoleonseiche 7.156